Bericht über die öffentliche Vernehmlassung in der Schweiz vom 4. April bis 20. Mai 2022 zu den Vorschlägen der verschiedenen Interessengruppen

1. Überblick

Die Vernehmlassung zur Harmonisierung des materiellen Patentrechts ist abgeschlossen, und basierend auf den eingegangenen Kommentaren können erste Schlussfolgerungen gezogen werden. Quantitativ war die Beteiligung mässig: Zwischen dem 4. April und dem 20. Mai 2022 wurden 11 Eingaben beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) eingereicht, davon fünf von Interessenverbänden, vier von Unternehmen und zwei von Patentanwälten/-firmen. Zu den möglichen Gründen für diese eher bescheidene Beteiligung gehören sicherlich die Komplexität der untersuchten Themen, die Fülle der erstellten Unterlagen (das gemeinsame Dokument für die Vernehmlassung und die Vorschläge der IT3, der FICPI und der AIPPI umfassen rund 150 Seiten) sowie die begrenzte Zeit für eine Stellungnahme.

 

In qualitativer Hinsicht allerdings wurden die angesprochenen Fragen im Allgemeinen zufriedenstellend detailliert und vertieft, insbesondere was die Einführung einer harmonisierten Neuheitsschonfrist und die Frage der Vorbenutzungsrechte anbelangt. Zudem stammen die Eingaben von zwei grossen Verbänden von IP-Fachleuten (INGRES und VIPS), vom Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz (Interpharma), vom Verband der Pharma-, Chemie- und Life-Science-Industrie (scienceindustries) sowie vom führenden Verband der KMU und Grossunternehmen der Schweizer Technologiebranche (Swissmem). Diese Teilnehmenden repräsentieren einen Grossteil der Schweizer IP-Fachleute und der innovativen Industrien, die das internationale Patentsystem am meisten nutzen.

 

2. Beobachtete Trends

Die Harmonisierung ist wichtig
Generell ist festzustellen, dass die Mehrheit der Teilnehmenden die Harmonisierung für wichtig oder sogar sehr wichtig hält, während nur ein Teilnehmer die Harmonisierung als «geringfügig wichtig» einstuft. Die Teilnehmenden äusserten sich zu allen drei Entwürfen überwiegend negativ oder sogar sehr negativ. Das IT3-Paket wurde weniger kritisiert und wird von den Teilnehmenden insgesamt bevorzugt. Dies insbesondere wegen der vorgeschlagenen obligatorischen Voraussetzung, dass bezüglich der Neuheitsschonfrist eine Erklärung mit den zu schützenden Offenbarungen des Antragstellers beizulegen ist.

 

Die Neuheitsschonfrist als Stolperstein
Bei der Frage, ob eine Neuheitsschonfrist eingeführt werden soll, ist eine sehr leichte Tendenz zugunsten einer Art «Sicherheitsnetz» zu beobachten. Diese Tendenz wird jedoch praktisch ausgeglichen durch eine fast äquivalente Präferenz für eine Neuheitsschonfrist, unter der Bedingung, dass Letztere international harmonisiert ist, sowie durch eine ebensolche Anzahl negativer Ansichten über die Einführung einer harmonisierten Neuheitsschonfrist unabhängig von ihrer Definition. Keiner der Teilnehmenden sprach sich für eine Neuheitsschonfrist aus, unabhängig von deren Definition. Generell herrscht eine gewisse Skepsis aufgrund der zu erwartenden negativen Auswirkungen einer Neuheitsschonfrist auf die Rechtssicherheit und wegen seiner Neuartigkeit für das europäische und schweizerische Patentrechtssystem.

 

Was die konkreten Vorschläge von IT3, FICPI und AIPPI betrifft, so ist die allgemeine Meinung zu allen drei Lösungen eher negativ oder sogar sehr negativ. Die Lösung, bei welcher die Meinungen am wenigsten auseinandergehen, ist die des IT3. Besonders bei diesem Vorschlag halten die Teilnehmenden die Gegenleistungen für die Einführung einer Neuheitsschonfrist jedoch für völlig unzureichend. Ausserdem darf sie gemäss den Teilnehmenden 12 Monate nicht übersteigen und Vorabinformationen müssen so schnell wie möglich eingereicht und spätestens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Patentanmeldung veröffentlicht werden.

 

Vorbenutzerrechte und kollidierende Anmeldungen
In Bezug auf die Vorbenutzerrechte äusserten sich die Teilnehmenden zu allen drei Vorschlägen überwiegend positiv. Die Teilnehmenden wünschen sich jedoch, dass die Vorbenutzerrechte über die Grenzen des Landes, in dem sie entstanden sind, hinausgehen. Was die kollidierenden Anmeldungen betrifft, so scheint die Bewertung der drei Vorschläge insgesamt ebenfalls leicht positiv zu sein, wobei die Teilnehmenden jenem von AIPPI einen leichten Vorzug geben.

 

3. Schlussfolgerungen des IGE

Bei der Vernehmlassung wurden die Ansichten der wichtigsten Verbände von IP-Fachleuten und der grössten innovativen Branchen, die das internationale Patentsystem nutzen und von grosser wirtschaftlicher und politischer Bedeutung sind, eingeholt. Aus den Eingaben geht hervor, dass die Harmonisierung einstimmig gewünscht wird, aber nicht um jeden Preis. Es bleibt noch viel zu tun, um eine praktikable und für die Schweizer Interessengruppen akzeptable Lösung zu finden. Insbesondere gibt es nach wie vor starken Widerstand gegen die Einführung einer Neuheitsschonfrist an sich, selbst bei den Teilnehmenden, die sich bereit erklärten, eine solche Lösung in Erwägung zu ziehen. Die Teilnehmenden machten alle deutlich: Eine Neuheitsschonfrist muss in jeder Form als Sicherheitsnetz konzipiert und auf internationaler Ebene harmonisiert sein und der Schweiz und anderen europäischen Ländern einen angemessenen Ausgleich bieten. Die Vorschläge von IT3, FICPI und AIPPI sind weit von einer solchen Lösung entfernt und scheinen daher kein geeigneter Ausgangspunkt für weitere Arbeiten zu sein.

 

Das IGE wird den Interessengruppen mehr Informationen über die Entwicklung dieses Dossiers zur Verfügung stellen, damit sie sich besser damit vertraut machen können und die Beteiligung an künftigen Vernehmlassungen höher ausfällt.

 

4. Nächste Schritte

Die nächste Plenarsitzung der Gruppe B+ wird am 21. September 2022 stattfinden. An dieser Sitzung soll erörtert werden, ob und wie das Harmonisierungsprojekt weiterverfolgt werden soll. In diesem Zusammenhang werden die Ergebnisse der öffentlichen Vernehmlassung in der Schweiz, aber auch in sechzehn anderen europäischen Ländern berücksichtigt werden. Gegen Ende September 2022 wird dann das IGE die Interessengruppen über die Ergebnisse dieser Sitzung und die nächsten Schritte informieren.

 

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