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«Klein aber fein»

Nespressomaschinen und Uhren von Swatch, Corbusier-Liege und die Tobleroneverpackung: Designs verleihen unserer Warenwelt das gewisse Etwas. Beat Schiesser, mehr als 35 Jahre Leiter Designschutz beim IGE, über das jüngste unter den gewerblichen Schutzrechten.

Die Designvitrine im IGE thematisiert verschiedene Aspekte des Designschutzes. Copyright: IGE
 

Gibt es Schweizer Designer, Herr Schiesser, die Sie in Ihrer Zeit als Leiter Designschutz besonders schätzen gelernt haben?

Beat Schiesser: Spontan fällt mir Antoine Cahen von den Lausanner Les Ateliers du Nord ein. Er ist seit Jahrzehnten im Geschäft, macht tolle Sachen und ist für das typische Design der Nespresso-Maschinen verantwortlich.

 

Würde Antoine Cahen Häuser bauen, singen, malen oder schreiben wäre er ein Star…

Wahrscheinlich. Vielleicht würde er es sogar schätzen, bekannter zu sein. Doch Designschaffende wirken halt sehr im Hintergrund. Sie arbeiten im Auftrag von Unternehmen, und sind am Point of Sale nur sehr selten sichtbar. Praktisch unsichtbar sind sie übrigens auch für das IGE. Denn es sind in der Regel die auftraggebenden Firmen, welche die Designs bei uns schützen lassen. Deshalb wissen wir beim IGE zum Beispiel nicht, wie viele freischaffende, professionelle Industriedesigner in der Schweiz tätig sind.

 

Welche Branchen melden Designs an?

Neben der Verpackungs ist es vor allem die Konsumgüterindustrie. Bei der Vermarktung von Kosmetika, Reinigungsprodukten, Haushaltgeräten, Uhren oder Lebensmitteln spielen Aussehen und Darbietungsform immer eine Rolle.

 
 

Haben Sie ausser der Industrie noch andere Kundengruppen?

Wir haben auch mit Gewerbebetrieben, namentlich Schreinern und Metallbauern, zu tun. Und schliesslich sind da noch Privatpersonen, die in ihrer Freizeit gestalterisch tätig sind.

 

Im Berichtsjahr wurden in der Schweiz rund 700 Schutzgesuche mit insgesamt 3000 einzelnen Designs eingereicht. Das ist, wenn man es zum Beispiel mit den knapp 18 000 Markeneintragsgesuchen vergleicht, nicht sehr viel…

Sie vergessen die Designs, welche bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf angemeldet werden. Immer freitags zwischen zehn Uhr vormittags und zwei Uhr nachmittags trifft bei uns ein Datensatz der WIPO ein. Er enthält zwischen 100 und 150 Schutzeintragungen mit über 1000 Designs, deren Eigentümer einen Schutz in der Schweiz anstreben. Wir prüfen diese Designs materiell und stellen beispielweise sicher, dass sie keine anstössigen Elemente enthalten. Multinationale Firmen wie beispielsweise Swatch melden alle ihre Designs bei der WIPO an.

 

Bei einer vom IGE in Auftrag gegebenen Umfrage haben die Designanmelderinnen bemängelt, dass das Schutzrecht Design in der Schweiz nur schwer durchzusetzen sei. Woran liegt das?

Da muss ich etwas ausholen. Weltweit betrachtet melden Autobauende und die Herstellenden von consumer electronics sehr viele Designs an. Es sind zwei Branchen, in denen Auseinandersetzungen um Schutzansprüche schnell mit einem gewissen Streitwert verbunden sind. Da nun aber Designs generell schnelllebig sind, konzentrieren die Produzierenden ihre juristischen Schutzmassnahmen auf die grossen Märkte. In der kleinen Schweiz kommt es daher kaum zu Gerichtsverfahren. Es existiert im Schweizer Designrecht ‒ ganz anders als im Patent- und Markenrecht ‒ keine über die Jahre gewachsene Rechtspraxis. Das ist gemeint, wenn man von mangelhafter Durchsetzbarkeit spricht.

 

Wie wirkt sich das auf den Alltag der Designschaffenden aus?

Wir sehen, dass die meisten Konflikte um Schutzansprüche aussergerichtlich beigelegt werden; zum Beispiel über Lizenzvereinbarungen.

 

Das Design ist seit der Inkraftsetzung vom 1. Juli 2002 das jüngste und gewissermas-sen kleinste unter den gewerblichen Schutz-rechten. Gibt es Studien zur ökonomischen Relevanz des Designs?

Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) in Alicante, wo auch der Designschutz angesiedelt ist, veröffentlichte vor einigen Jahren eine Studie dazu. Die Resultate verblüfften auch mich: Ein Fünftel aller in der EU verkauften Konsumgüter geniessen Designschutz. Wir reden hier von Produkten, mit denen die Herstellenden Jahr für Jahr Billionenumsätze erzielen. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass Designs in der EU ‒ anders als in der Schweiz ‒ ab Markteinführung automatisch für drei Jahre gegen Nachahmende geschützt sind.

 

Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Abteilung Marken & Designs stehen auch Laien und Erstanmeldenden für Auskünfte zur Verfügung. Was ist die häufigste Frage?

(lacht) Kann man ‚das‘ patentieren?

 

Wie lautet Ihre Antwort?

Wir erklären in der Regel zuerst die Grundsätze. Erstens: Ideen lassen sich nicht schützen; weder in der Schweiz noch irgendwo sonst auf der Welt. Zweitens: Zum Patent sind nur Erfindungen zugelassen, die ein Problem mit technischen Mitteln lösen. Ein Gestaltungsentwurf erfüllt diese Bedingung nicht. Dafür gibt es den Designschutz. Früher sprach man von zweidimensionalen Mustern und dreidimensionalen Modellen. Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Schutz von Design Mitte 2002 reden wir nur noch vom Design, einem kleinen, aber feinen Nischenprodukt.

 

Wie reagieren die Anrufenden auf diese für sie unter Umständen ernüchternden Auskünfte?

Es entspinnen sich oft hochinteressante Gespräche. Ich erinnere mich an einen der ersten Kontakte mit Daniel und Markus Freitag. Sie schilderten mir ihre Idee mit den Taschen aus gebrauchten Lastwagenplanen. Die erste Enttäuschung über die Nicht-Schützbarkeit von Ideen hielt nicht lange. Denn es zeigte sich, dass es rund um die Taschen, die heute unter dem Label «Freitag» weltweit vertrieben werden, sehr viel gibt, was sich schützen lässt: Nähte, Schnitte und Laschen. Später sagten mir die Brüder, dass sie der Information durch das IGE viel zu verdanken hätten.

 

Es geht das Gerücht, dass Sie einmal vom mittlerweile verstorbenen HR Giger, dem Schöpfer des Filmmonsters Alien, angerufen wurden. Ist da was dran?

Tatsächlich hatte ich einmal einen Herrn Giger in der Leitung. Ich hatte zunächst keine Ahnung, dass es sich um den Giger handelte. Er ärgerte sich über Nachahmungen eines von ihm entworfenen Tisches. Ich hörte einfach zu. Giger stellte sich auf den Standpunkt, er sei Künstler und seine Schöpfungen seien deshalb vom Urheberrecht geschützt. Das ist jedoch nicht generell der Fall, sondern hängt konkret vom richterlichen Ermessen ab. Als er das verstanden hatte, entwickelte sich ein Supergespräch.

 

Ist die Grenze zwischen einem gestalterischen Entwurf und einer künstlerischen Schöpfung wirklich so scharf, wie es das Gesetz unterstellt?

Es gibt tatsächlich Überschneidungen; ein berühmtes Beispiel ist die Liege von Charles-Édouard Jeanneret-Gris, genannt Le Corbusier. Das Bundesgericht bestätigte, dass sie dem Urheberrecht unterliegt und nicht ohne Einwilligung der Erben von Le Corbusier produziert und vertrieben werden darf.

 

Laut Gesetz kann der Designschutz nach fünf Jahren maximal vier Mal um weitere fünf Jahre verlängert werden. Trotzdem gibt es Designs, die auch Jahrzehnte nach ihrer Markteinführung noch geschützt sind; zum Beispiel die Toblerone.

Inhabende eines Designs haben die Möglichkeit, ihr Design als unbefristet verlängerbare Formmarke schützen zu lassen. Die Hürden sind allerdings hoch: Der Inhabende muss ‒ zum Bespiel mittels repräsentativer Umfrage ‒ glaubhaft machen, dass sich sein Design am Markt durchgesetzt hat, d.h. vom Publikum als Hinweis auf eine betriebliche Herkunft verstanden wird. Beim Panton Chair ist das der Fall. Gelingt es, steigt das Objekt gewissermassen in den Himmel der Designikonen auf.

 

Infobox: Mister Design

Ende Juni 2022 Jahr nahm Beat Schiesser den Hut. 42 Jahre nachdem er beim damaligen Bundesamt für Geistiges Eigentum (BAGE) den Dienst angetreten hatte. Einer seiner Mitspieler in der ersten Mannschaft des BSV Bern hatte ihm damals gesagt, dass sie beim BAGE Leute suchen würden. Obwohl Spitzenhandballer ‒ und später noch zweifacher Schweizer Meister und 20-facher Nationalspieler ‒ trat KV-Absolvent Schiesser eine Vollzeitstelle an. 1987 wurde er zum Leiter des Designschutzes befördert. Die wichtigste Wegmarke seines Berufslebens war die Vorbereitung des Bundesgesetzes über den Schutz von Design. Der frühere Rückraumspieler leitete in den Jahren vor dem Inkrafttreten am 1. Juli 2002 eine bis zu siebenköpfige Expertengruppe aus Immaterialgüterrechtlern, IT- und Designfachleuten. Für den Ruhestand hat der grossgewachsene Stadtberner noch keine konkreten Pläne: Lesen wolle er, reisen und das Leben in der Dreigenerationenfamilie geniessen.

 
  • Was kann ich als Design anmelden und was ist dabei zu beachten? Tipps rund um den Designschutz erhalten Sie hier.
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